Kann man Pferde tatsächlich innerhalb einer halben Stunde im Rahmen einer Show „korrigieren“? Und wie sieht es umgekehrt aus, wenn ein langer Ausbildungsweg verfolgt wird? Ich habe für die Ausgabe der Feinen Hilfen, Nummer 24 mit Bent Branderup über schwierige Pferde rund um die Ausbildung in der Akademischen Reitkunst gesprochen. Fotocredit: Lotte Lekholm

Welches Pferd hat dich in deiner Laufbahn vor besondere Schwierigkeiten gestellt? 

Bent Branderup: Meinem Knabstrupper Hengst „Hugin“ ist das Buch „Akademische Reitkunst“ gewidmet. Er hat mich vor 30 Jahren durch Knochenbrüche in drei Beinen und seine Erblindung völlig neu denken lassen. Durch ihn habe ich gelernt, dass das Pferd nicht für die Reitkunst da ist, sondern die Reitkunst für das Pferd. Mein PRE Hengst „Caradura“ hat mich allerdings vor eine besondere Herausforderung gestellt. „Cara“ ist ein sehr liebes Pferd mit einem extrem tollen Charakter. Leider ist sein Bewegungskonzept aber von Natur aus sehr breitbeinig und ähnelt eher einem Traber, denn einem Spanier. Dazu kam ein sehr tiefer Halsansatz. Cara lief also schwer auf der Vorhand und mit der Hinterhand sehr breit. Erst im Alter von nun elf Jahren ist es mir gelungen, Cara auf die Hanken zu bringen. Das Unglaubliche daran: Cara ist nun mit elf Jahren um fünf Zentimenter gewachsen, da er sich nun im Widerrist um diese fünf Zentimeter leicht aus der Schulter heben kann. Die Aufgabe in der Ausbildung war also die Hinterhand geschmeidig zu machen, sie zu koordinieren und zu einer Funktionalität zu bringen. In dem Moment, wo die Hinterhand ihre Funktionalität bekam, waren auch die Probleme im Hals gelöst, die Gänge des Pferdes wurden eleganter und geschmeidiger. In seiner Ausbildung bin ich einen völlig anderen Weg gegangen, als ich es normalerweise mache und habe völlig anders im Vergleich zu anderen Pferden ausbilden müssen. Auf dieser Reise hatte ich viele Ideen und Überlegungen, beispielsweise bei der Arbeit mit der Schulparade. 

Was war hier neu? 

Bent Branderup: Die Schulparade war zu diesem Zeitpunkt gerade quasi „wiederentdeckt“. Allerdings wurden durch die Arbeit mit der Schulparade auch neue Probleme hinzugefügt. Ziel war es, durch die Schulparade die Gelenke der Hinterhand zu beugen und geschmeidiger zu machen. Mit meinen Frederiksborgern Zarif und Tysson war die Arbeit mit der Schulparade kein Problem, auch Knabstrupper Tableau hat den Weg der Parade über die Wirbelsäule in die Hinterhand gut umsetzen können. Cara allerdings hatte sich über einen „Katzenbuckel“ der Beugung der Gelenke entzogen und blieb erst recht steif in den Gelenken der Hinterhand. Lediglich die Lende wurde aufgewölbt und dabei das Hüftgelenk geöffnet. Damals konnte ich den Fehler noch nicht korrekt zuordnen, somit haben sich sämtliche Probleme zu Beginn dieser Arbeit verschlimmert, daher musste ich weiter denken. Wir haben also die Arbeit mit dem versammelten Schritt, dem Schulschritt hinzugefügt. Dabei konnte ich in aller Ruhe an der fehlenden Geschmeidigkeit der Hinterhand arbeiten und diese mobilisieren. Nach drei Jahren intensiver Handarbeit, die ich aus der Pilarenarbeit entwickelt habe und gelegentlichem Reiten stellten sich erste Erfolge ein. Erst seit Januar diesen Jahres kann ich die Ernte dieser mühevollen Detailarbeit einfahren – oder einreiten, denn plötzlich waren auch aus dem Sattel alle Lektionen, die wir am Boden erarbeitet hatten da. Bis hin zu Piaffe und Galoppwechseln. Wenn das Pferd auf den Hanken ist, ist alles möglich. Bis dahin musste ich aber öfter grübeln. 

Der Weg lief also über die Versammlung – wäre es über vorwärts-reiten nicht auch gegangen? 

Bent Branderup: Cara hat zwar eine starke Schulter und starke Vorderbeine. Er hätte es aushalten können und wäre wohl beim Ausreiten im Gelände nicht verbraucht worden, allerdings gibt es Pferde mit einer ähnlichen Veranlagung und schwacher Schulter und Vorderbeinen. Wichtig ist als Ausbilder stets zu bedenken, dass die ganze Dressur ja ihren Inhalt verliert, wenn weder Pferd noch Mensch daran Freude haben. Mit steigender Ausbildung wuchs auch Cara mental. Er ist viel stolzer den anderen Hengsten gegenüber, als er es früher war. Da war er praktisch der „Underdog“. Jetzt ist er jemand, das war aber seine eigene Vorstellungskraft und Entwicklung. Die Fähigkeit zur besseren Bewegung führt auch zu einer höheren Schätzung des eigenen Ichs. Das ist für Pferde ja ungemein wichtig, dass sie sich korrekt bewegen können, es ist ihre Mitteilung nach außen, ihre Visitenkarte. Ich bin jetzt sehr froh, dass wir diese Mühen auf uns genommen haben, wenn ich sehe, wie stolz und selbstbewusst sich Cara nun präsentiert. 

Hast du dir damals einen Ausbildungsplan zurecht gelegt? 

Bent Branderup: Der Schulschritt war zwar der Schlüssel zu Caras Ausbildung, allerdings hat der Faktor Zeit keine Rolle gespielt. Cara ist für mich Familienmitglied, es war völlig belanglos wie lange es dauert, denn in erster Linie ging es darum, eine gute Zeit miteinander zu haben. Wenn man allerdings Sehnen, Bänder und Muskulatur stärkt und arbeitet, dann muss man sich klar machen, dass man selbst als Profi nichts schnell ändern kann, was die Natur vorgibt. Da nützt es nichts, einen Zeitplan zu setzen, denn lediglich muskuläre Veränderungen kann man ungefähr kalkulieren. Aber ich bin ein unerschütterlicher Optimist. 

Und wie ging der Optimist Bent Branderup bei der Ausbildung konkret vor? 

Bent Branderup: Zuerst haben wir die Bodenarbeit erarbeitet, wo das Pferd die Sekundarhilfen erlernt, dann Longenarbeit ohne und später mit Reiter, wobei das Pferd die Hilfen nun genau kennen lernt. In der Handarbeit fanden wir den Schlüssel, da ich mit der einhändig führenden Hand über dem Widerrist genaue Mitteilungen geben, aber noch viel wichtiger von Cara empfangen konnte. Die zweite Hand bleibt bei dieser Variante frei, somit konnte ich mit der Gerte das Pferd auffordern im Knie und Sprunggelenksbereich mehr zu heben. Bei dieser Hilfe muss man allerdings sehr wohl respektieren, dass ich nicht einfach einen Hinterfuß in die Höhe touchieren kann, denn dann geht die gleichseitige Hüfte ebenso nach oben rauf, was ja kontraproduktiv wäre. Man begnügt sich also täglich mit ein bisschen mehr Beugung, es sind sehr kleine Schritte. Mir ging es nicht um eine ZIrkuslektion, sondern um den mentalen und körperlichen Aufbau meines Pferdes. Wer glaubt, Sehnen und Bänder schnell ausbilden zu können, der hat keine Ahnung. Es ist ein sehr vorsichtiger Prozess. Wenn der Brustkorb in den Schulterblättern festhängt, dann ist es eben nur eine Sache, die zur Leichtigkeit führt. Die Arbeit mit der Hinterhand. Handarbeit von außen geführt ist Pilarenarbeit im Vorwärts. Hier haben mir also die Alten Meister geholfen, denn durch den Schulschritt wurde die Schulparade plötzlich besser und irgendwann konnte die Parade zur Leichtigkeit in der Schulter führen. Der Pferdekopf kann nichts erzeugen, das Pferd kann nicht auf der Zunge hüpfen, die gesamte Wirbelkette muss aus der Hinterhand zu einer idealen Tätigkeit gebracht werden, die sich dann auf Hals und Kopf überträgt. Wenn man bei einem Pferd, das im Hals sehr fest ist, gezwungen ist, nichts in der Hand zu machen, kommen zwar Fehler zu tage die himmelschreiend offen sichtbar sind. Falsche Positionierungen sind aber nur Symptome. Den Kopf deswegen in eine Richtung zu zwingen – davon wird die Sache ja nicht richtig.

Gab es bei Cara auch mental Probleme im Zuge der Ausbildung?

Bent Branderup: Ja, denn mental hatten wir natürlich auch das Problem, dass das Herantasten an Grenzen Stress bereitet. Man muss aus dem grünen Bereich vorsichtig in den gelben Bereich kommen und versuchen diesen ebenso grün zu malen. Gehe niemals in den roten Bereich. Vor allem nicht mit Pferden, die den Stress nicht anzeigen. Diese neigen dann später zu Kotwasser oder Koliken. Cara hingegen bekam ein unruhiges Maul, wenn ich zu nah an der Grenze gearbeitet habe. Sein unmittelbares Feedback war hier sehr hilfreich, um die Dosis der Arbeit regelmäßig an seine mentalen Grenzen anzupassen. Bei Cara haben wir daher viele Pausen im Stehen gemacht. Ich habe einen Sportausbilder gekannt, der die Ansicht vertreten hat, nach maximal sieben optimalen Dehnungen gibt es keine Steigerung mehr für den Körper. Ich kann mit Cara mittlerweile in sehr kurzer Zeit ein gutes Ergebnis erreichen – dann ist die Arbeit auch früh beendet und er kann sofort auf die Koppel. Ein Ritual, das auch die Freude an der Arbeit steigert. 

Du sagtest, die Alten Meister haben dich zur „bewegten Pilarenarbeit“ inspiriert, auch deine Lehrmeister Nuno Oliveira und Egon von Neindorff? 

Bent Branderup: Ja, die Erfahrung dieser beiden Lehrmeister hat mir besonders gezeigt, dass man verschieden arbeiten kann und dennoch ans Ziel kommt. Besonders wenn man sehr individuell an das Pferd geht. Ein Ausbilder braucht ein ordentliches Handwerk, sonst wird er zu einem Religiösen, der einer bestimmten Religion folgen muss. Der gute Handwerker, der aber seinen vollen Werkzeugkoffer zu nutzen weiß, wird zum Individuum, der seinem Gefühl und der Ausbildung des Pferdes individuell folgen kann. 

Was hälst du von Shows, bei denen „Problempferde“ im Schnellverfahren ausgebildet werden?

Bent Branderup: Stellen wir uns vor, ein Pferd, das sich nicht verladen lässt, kommt plötzlich zu einer solchen Show. (Wie kam es da eigentlich hin?) 4.000 Raubtiere sitzen in einer Halle, grölen und klatschen. Und dann steht da ein Hänger, das einzige, was das Pferd kennt. Wo meinst du, will das Pferd dann gerne hingehen? Der Lerneffekt ist dabei äußerst fraglich. Lernen braucht Zeit. Ich habe auch früher als Berufsreiter Pferde in drei Monaten eingeritten. Jahre später traf ich eine Kundin, die über ihr Pferd schwärmte. Ich fragte nach den Fortschritten: Das Pferd hatte in den 10 Jahren nichts Neues gelernt. Wozu macht man dann den ganzen Quatsch? Das Leben heißt, dass man lernt, dass man sich entwickelt und ihm einen Sinn gibt.  Warum darf man diese Zeit nicht genießen und muss alles im Schnellverfahren erledigen? 

Vielen Dank für das Gespräch