Eine Hilfe ist nur dann eine Hilfe, wenn sie tatsächlich hilft. Anders gesagt unterscheiden wir in der Akademischen Reitkunst zwischen Primärer und Sekundärer Hilfengebung. Welche Hilfen das sind, und wozu wir sie brauchen, darüber heute mehr: 

Ein voller Werkzeugkoffer

In der Akademischen Reitkunst steht uns eine Bandbreite an Hilfen zur Verfügung. Anders gesagt erarbeiten wir uns Schritt für Schritt einen vollen Werkzeugkoffer. Die Basis für alles ist unsere Primärhilfe. Vom Sattel ausgesehen ist die Primärhilfe der Reitersitz – vom Boden aus betrachtet unser Körper, der freilich beabsichtigt oder unbeabsichtigt eine große Menge an Information an das Pferd weiter gibt. 

Mit dem Körper sprechen

Das fällt uns in unserem Alltag wahrlich schwer. Lassen wir unsere Phantasie rund um unser Privatleben spielen: Stellen wir uns vor, unsere Beziehung wäre gerade mal vor drei Tagen gescheitert. Oder das andere Extrem: Wir haben im Lotto gewonnen! Wie würden wir mit beiden Szenarien in unserem beruflichen Alltag umgehen? Poker Face ist gefragt. Wir können im Umgang mit Kunden oder Kollegen nicht einfach so Emotionen teilen, auch wenn es quasi der Höflichkeit geziemt, das Gegenüber nach dem Befinden zu fragen. Wir sagen also salopp „Gut“, auch wenn es uns innerlich vor Traurigkeit oder Freude zerreisst. 

Ich erlebe oft, dass wir im Alltag unseren Körper nicht mehr zum Sprechen benutzen, kommen wir dann aber zum Pferd, dann überschwemmen wir es möglicherweise mit Information. Wir möchten unser Pferd führen und ein paar mal gemeinsam angehen und miteinander anhalten. Unmöglich, denn wir lassen uns weder für eine adäquate Distanz Zeit, noch drückt unser Körper tatsächlich aus, was wir möchten. 

Anna Eichinger

Wir treffen, frisch aus unserem hektischen Alltag auf ein Wesen, das IST. Das Pferd lebt im Moment. Wir sind noch halb im Büro, halb schon bei der Arbeit mit dem Pferd, ohne mal durchzuatmen und uns zu erden. 

Um unsere Primärhilfe vom Boden aus adäquat zu schulen, hilft ein wenig Achtsamkeit. Oder auch Meditation. Klar sprechen wir auch durch unsere Stimme mit dem Pferd – wer sich der Wirkung des eigenen Körpers klar bewusst ist, der ist in Punkto Kommunikation nicht Passagier, sondern hat Wortwahl und Ausdruck selbst in der Hand. 

Was wir zu sagen haben? 

Unser Körper kann dem Pferd eine ganze Menge sagen. Wir können Energie hoch und runter fahren. Wir können uns in verschiedenen Qualitäten bewegen – langsam oder schnell, ruhig oder im Stakkato. Wir drücken auch unsere Gefühle aus – ob wir uns freuen oder nicht, ob wir unser Pferd motivieren können – all das gehört zur Kommunikation dazu. Unser Körper ist nicht nur der Sitz. Und freilich können wir sehr viel von dem, was wir unserem Pferd zeigen wollen durch Spiegeln erleichtern. Nehmen wir das Beispiel Schulterherein in der Bodenarbeitsposition. 

Vom Sattel aus gesehen würden wir – ganz vereinfacht gesagt in der Hilfengebung die äußere Schulter ein wenig nach vorne nehmen, die innere Schulter etwas hinter die innere Hüfte. Der innerer Schenkel lädt das Pferd ein, etwas mehr in Richtung Schwerpunkt zu treten. Das geht auch von „unten“ aus der Bodenarbeitsposition. 

Nun stehen wir vor dem Pferd. Die linke Schulter ist außen, die rechte innen. Ich stelle mir gerne vor, auf den Schultern des Reiters wären Zügel montiert, die ein imaginärer Reiter in der Hand hält. Um den Außenzügel zu benutzen, nimmt der Mensch vor dem Pferd die linke Schulter etwas zurück, die rechte Schulter neigt sich zum Pferd. Die rechte Hüfte bzw. das rechte Bein laden das innere Hinterbein des Pferdes ein, nach vorne zu fußen. 

Und vom Sitz? 

Der Mensch denkt, der Körper…nun ja. Der Sitz ist Verschmelzung. Das dachte man sich nicht nur bei Lego, als Reiter und Pferd förmlich ineinander verschmolzen. Antoine de Pluvinel setzte es sich zum Ziel, das Pferd aus der Hüfte heraus zu dirigieren. 


Egal ob wir diese Primärhilfe von unten oder oben ein“setzen“ – die Herausforderung ist: Der Sitz ist immer da. Er kann missverständlich sein? Der Reiter kann seinen Körper nicht unter Kontrolle haben? Der Reiter kann zu fest, zu weit vorne, zu weit hinten, zu tief, zu hoch. Nun ja – auf viele Weisen „zu viel“ sitzen – oder eben das Gefühl haben – alles was man tut ist definitiv zu wenig. 

Einfach drauf sitzen und machen – leider nein. Der eigene Körper benötigt, um mit dem Pferd in Einklang zu kommunizieren sowohl vom Boden wie auch vom Sattel ein gutes Bewusstsein und Achtsamkeit. 

Erst dann kommt die technische Komponente. Eines sei gesagt: So wie man sich im Alltag bewegt, so ist man meist vor und auf dem Pferd! 

In der Akademsichen Reitkunst unterscheiden wir weiter zwischen physischem, statischem und fühlenden Sitz: 

Der Physische Sitz greift also die Bewegung auf – es geht um die dreidimensionale Schwingung der Wirbelsäule des Pferdes. Unser Wunsch und Ziel ist es, diesen Bewegungen gleichsam wie Pluvinel es definierte aus den Hüften heraus folgen zu können und  bestenfalls die Schwingungen zu beeinflussen, ohne die Hand zu benutzen, die völlig unabhängig vom Sitz sein muss. 

Der Statische Sitz befasst sich mit dem Gleichgewicht. Ziel ist ein Pferd zu haben, das mit beiden Hinterbeinen in Richtung Schwerpunkt fußen kann. Der Statische Sitz bedeutet für den Reiter: Sein Gleichgewicht finden und mit dem Gleichgewicht spielen, so dass das Pferd den vom Reiter vorgegebenen Gleichgewichtsrichtungen folgen kann. 

Was wäre der Sitz ohne Gefühl? 

„Nur einen denkenden Reiter kann man einen fühlenden Sitz lehren, denn der Reiter muss verstehen, was er fühlt“.

Bent Branderup

Anders gesagt – ohne Theorie keine Praxis und ohne Praxis keine Theorie – das ganze wäre aber nur halb so schön, wenn wir das, was wir unter uns oder neben uns wahrnehmen nicht in Gefühle und kleine Details packen könnten. Erst dann wird Reitkunst lebendig. 

Sekundarhilfen

Zu den Sekundarhilfen zählen wir die Hand, die Gerte, das Bein und die Stimme. 

Die Gerte

Gerade in der Bodenarbeit benutzen wir die Gerte als zeigende Hilfe, um in der Ausbildung dem Pferd die Funktion und Bedeutung des inneren Schenkels, des äußeren Schenkels, des inneren Zügels und des äußeren Zügels begrifflich zu machen. 

Die Holzgerte findet aus Respekt vor dem Pferd Verwendung. Sie würde bei Missbrauch zerbrechen – und heute kann man noch in Punkto ökologischer Nachhaltigkeit die Verwendung von Plastik ausschließen. 

Die Gerte ist also ein wichtiges Hilfsmittel, um dem Pferd die Führung zwischen den Schultern sowie Schulterherein und Kruppeherein in der Bodenarbeit zu erklären. Hand und Bein gehören ebenso zu den Sekundarhilfen dazu. Die Hand wird vor allem in der Handarbeit geschult, denn dann ist der Reiter genauso neben dem Pferd positioniert, als ob er im Sattel säße. Die einhändige Führung über dem Widerrist macht klar, was aus der Hinterhand an Information an die Hand getragen wird – oder eben nicht. 

Sechs Schenkelhilfen runden das Spektrum der Sekundarhilfen ab – nur um einen kurzen Überblick zu geben unterscheiden wir:

  • den inneren, um sich herum biegenden Schenkel
  • den äußeren, von sich weg biegenden Schenkel
  • der direkte Schenkel wirkt auf das gleichseitige Hinterbein ein und animiert es zum Vorgriff, 
  • der verwahrende Schenkel wacht darüber, ob ein Hinterbein zu breit tritt
  • der umrahmende Schenkel sorgt für Ordnung, wenn ein Hinterfuß zur gegenüberliegenden Seite ausfällt
  • und dann gibt es natürlich noch den versammelnden Schenkel. 

Neben diesem Kammer-Orchester an Hilfengebung haben wir natürlich noch den Sopranisten zur Verfügung – also unsere Stimme. Aber bitte nicht hoch und laut 😉

Stimmhilfen

Mit dem Pferd zu sprechen, es aufzumuntern, zu beruhigen und es zu bestätigen hat sich immer noch bewährt. Gerade bei den Alten Meistern finden wir auch viele Hinweise, wie man mit dem Pferd sprechen soll: 

Von den fünf Sinnen, mit denen alle Tiere genauso wie der Mensch von der Natur ausgestattet worden ist, gibt es drei, mit denen man bei der Ausbildung eines Pferdes arbeitet. Der Gesichtssinn, das Gehör und das Gefühl. Man motiviert und lobt das Pferd, wenn es in der Schulung des Gesichtssinns sich erschreckenden Gegenständen mutig nähert. Kein Tier ist so empfindlich, wie das Pferd. Fahren wir weiter behutsam mit viel Lob für jeden richtigen Schritt fort, können wir auch den Gehörsinn abrichten, indem man es an laute Geräusche gewöhnt. Aber auch auf den Zungenschlag lässt sich das Gehör und somit die Motivation hin richten. Den sanften Ton der Stimme, die ein Reiter zur Liebkosung anwendet, oder auf einen raueren Ton, dessen er sich als Strafe bedient – auch diese Geräusche lernt das Pferd als wichtige Hilfe kennen. Und natürlich spricht der Reiter somit auch das Gefühl des Pferdes an, bestätigt es durch Schmeicheln, korrigiert es durch Tadel. Wichtig ist jedoch, dem vierbeinigen Schüler stets ein gutes Gefühl im gemeinsamen Arbeiten zu geben. 

François Robichon de la Guérinière