Ihr seid die was??? So die Reaktion meiner deutschen Kollegen, wenn ich ihnen berichte, dass wir hier im Süden Österreichs den liebevollen Spitznamen „die Steckerlreiter“ bekommen haben. Die aufgestellte Gerte mag für manche befremdlich wirken – in der Akademischen Reitkunst ist sie ein wichtiges Mittel zur Kommunikation.

Eine Frage des Respekts

Die Gerte gehört in der Akademischen Reitkunst zu den sekundären Reiterhilfen. Für Reiter, die noch wenig mit der Akademischen Reitkunst zu tun hatten, ist die Gerte aus Holz manchmal noch sehr eigen anzusehen – erst neulich hat mich eine Stallkollegin gefragt, ob ich mir denn keine „richtige“ Gerte leisten könne.

Können wir – wollen wir aber nicht. In der Akademischen Reitkunst ist es nicht unbedingt Usus mit einer Plastikgerte zu reiten. Die Ursache dafür hat mit dem Respekt gegenüber dem Pferd zu tun. Mit einer Plastikgerte kann man dem Pferd ziemlich grobe Schläge zufügen. Eine Holzgerte, sachgemäß vorbereitet und über einen längeren Zeitraum für die Arbeit mit dem Pferd getrocknet würde bei grober Handhabe brechen.

Grundsätzlich kommen verschiedenste Hölzer für die Nutzung in Frage. Bent Branderup unterstreicht in seinem Buch Akademische Reitkunst die Vorzüge der portugiesischen Quittengerte, empfiehlt aber auch Apfelbäume und andere Obsthölzer.

Ich persönlich habe Hölzer vom Apfelbaum am Liebsten.

Die Gerte als Unterstützung des Bodenpersonals

Wenn wir beginnen mit unseren Pferden von Boden aus zu arbeiten, schulen wir in allererster Linie die Kommunikation zwischen Pferd und Mensch. Die Gerte dient hier als Signalverstärker. So ist die Gerte ein wichtigstes Hilfsmittel, wenn wir dem Pferd von Boden aus:

  1. den inneren Schenkel
  2. den äußeren Schenkel
  3. den inneren Zügel
  4. und den äußeren Zügel beibringen.

Wenn wir unser Pferd auf dem Zirkel führen wollen und dabei selbst rückwärts vor dem Pferd herlaufen kann die Gerte dorthin zeigen, wo später der innere Schenkel liegen würde. Das Pferd lernt nun sich um den inneren Schenkel zu biegen (dies kann bereits bei der Arbeit im Stehen gefestigt werden) und auf Signal des „inneren Schenkels“ sich nach vorwärts-abwärts zu strecken. Fällt das Pferd über die innere Schulter herein und verkleinert dabei den Zirkel kann die Gerte als innerer Zügel dafür sorgen, dass das Pferd wieder den Zirkel vergrößert.

Ein kleiner Tipp: Viele Reiter betrachten bei der Bodenarbeit das Pferd auf wenige Körperteile reduziert. Kommt die innere Schulter in den „Tanzbereich“ des Reiters, sollte auch die Korrektheit von Stellung und Biegung überprüft werden. Ein Blick auf das innere Hinterbein verrät ebenso, ob dieses zwischen die Spuren der beiden Vorderhufe tritt, oder gar nach innen, also außerhalb der Masse des Pferdes ausgefallen ist. Oft hilft die Korrektur des inneren Hinterbeins, sowie eine Überprüfung von Stellung und Biegung alleine, um das Problem der hereinfallenden inneren Schulter zu lösen.

Pferd mit GerteKennt unser Pferd bereits den inneren Schenkel ist es Zeit den äußeren Schenkel in das Orchester der feinen Hilfen aufzunehmen. Die Gerte als innerer Zügel kann beim Führen entlang der Bande dafür sorgen, dass die Schulter draußen bleibt. Wenn die Gerte die Schulter nach draußen treibt, kann sie – in Richtung äußerer Hüfte auch dafür sorgen, die Kruppe ein wenig nach innen zu dirigieren. Dies lässt sich auch gut im Stehen vorbereiten. Wenn das Pferd mit dem äußeren Hinterbein den ersten Schritt in die richtige Richtung macht, sofort loben und die Übung beenden.

Wenn unser Pferd das Kruppeherein bereits gut an der Bande beherrscht ist es Zeit, sich von dieser zu lösen. Dazu wird dann die Gerte unterstützend als Außenzügel angewandt. Je besser das Pferd die zeigenden Gertenhilfen versteht, umso größer kann nun die Distanz des Menschen zum Pferd werden. Das Pferd wird nun den inneren, wie den äußeren Schenkel immer verstehen, egal ob von außen geführt oder mit größerem Abstand wie beim fortgeschrittenen Longieren.

Hinterhand, bitte senken…

Die Gerte kann auch als Signalverstärker dienen, wenn wir die Hinterhand des Pferdes senken möchten. Wenn wir mit der Gerte über die Kruppe bis hin zur Schweifrübe streichen, kann dies ebenso ein Signal sein, wie ein sanftes Touchè oberhalb des Schweifansatzes. Ich betone sanft.

Touchieren wir das Röhrbein, soll das Pferd verstehen den Hinterfuß zu heben, ohne aber gleich die Hüfte nach hinten oben zu werfen.

Für mehr Hinterhandaktivität kann man auch den Oberschenkel hinter dem Knie mit der Gerte berühren.

Und von oben?

Grundsätzlich werden die Zügel in der linken Hand geführt, die Gerte in der Rechte. Die senkrecht nach oben zeigende Gerte bleibt den reitenden Soldaten vorbehalten, die ich als Leser meines Blogs eher in der Unterzahl vermute 😉 Für den einhändig reitenden Rest gilt: Die Gerte wird von der rechten Hand in Richtung linker Schulter zum Herzen geführt.

Auch von oben kann ich die Gerte jederzeit so einsetzen, wie ich sie als Signalverstärkung benötige. Es geht also nicht – wie oftmals in so mancher Reitschule gelehrt, um das Vorwärtstreiben des Pferdes, sondern um die Aufmerksamkeit des Pferdes gegenüber den Hilfen zu schulen.

Lasse ich die Gerte in Richtung linker Schulter sinken verstärke ich den linken Zügel. In Richtung des linken Schenkels wird eben derselbe verstärkt. So kann man das Führen zwischen den Zügeln und zwischen den Schenkeln sanft schulen – vor allem, um beim jungen Pferd möglichst wenig mit den Zügeln einwirken zu müssen.

Wenn das Pferd die Sekundarhilfe Gerte verstanden hat, hilft es manchmal die Gerte alleine ins Sichtfeld des Pferdes zu bringen. Berührungen mit der Gerte sind dann bei so feinen Reaktionen nicht mehr notwendig.